Die schulische Eingliederungshilfe ist kein Almosen.
Sie ist ein Baustein, um die Grundrechte der betroffenen Kinder und Jugendlichen auf menschenwürdiges Leben und Teilhabe umzusetzen.
Gemäß Sozialgesetzbuch gibt es einen individuellen Anspruch der betroffenen Menschen auf genau die in ihrem Fall benötigte Eingliederungshilfe.
Weder die Schule noch die Eltern noch der Leistungserbringer haben hier eigene Rechte.
Der Anspruch wird durch Antrag beim Amt für Soziale Arbeit geltend gemacht. Der Umfang des Anspruchs im konkreten Fall muss vom Amt für Soziale Arbeit festgestellt werden. Es greift dabei auf Gutachten von Ärzten, aber natürlich auch auf die Einschätzungen der Eltern, der Schule oder des Leistungsträgers zurück.
Die schulische Eingliederungshilfe ist nicht davon abhängig, dass die Eltern „bedürftig“ wären. Sie wird aus unser aller Steuergeldern aufgebracht und von den Städten und Landkreisen ausgezahlt. Die Eingliederungshilfe darf also nicht mit dem Argument verweigert werden, das Geld der Kommune sei knapp.
Die Abwicklung erfolgt im sozialrechtlichen „Leistungsdreieck“:
Die Eltern minderjähriger Leistungsempfänger haben eine starke Rolle im sozialhilferechtlichen Leistungsdreieck, und ihre Rechte müssen respektiert werden.
Die Rechtsgrundlage für Teilhabeassistenz in der Schule findet sich in § 112 SGB IX: Es handelt sich um Hilfe zur „Teilhabe an Bildung“ so u.a. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung sowie Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule.
Sie ist vorgesehen für „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“ (§ 2 SGB IX)
Für Kinder und Jugendliche mit seelischen Behinderungen wird die Hilfe nach § 35a SGB VIII gewährt. (Kinder- und Jugendhilfe)
Schulische Eingliederungshilfe orientiert sich ausschließlich am individuellen Bedarf des Einzelnen. Sie ist unabhängig von Art, Form und Umfang der Beschulung. Sie ist nicht zu verwechseln mit sonderpädagogischer Förderung, sie steht nicht im Zusammenhang mit der Etablierung einer Modellregion Inklusion und sie ist kein Ersatz für die (Förderschul)lehrkraft.
Die Eltern handeln als die gesetzlichen Vertreter für ihr Kind (§1629 BGB) und stellen bei Bedarf einen (formlosen) Antrag beim Amt für Soziale Arbeit:
Amt 5107 Eingliederungshilfe und Teilhabe
https://www.wiesbaden.de/vv/oe/06/51/behindertenarbeit/141010100000168148.php
Oder sie nutzen direkt das Antragsformular, das sie vom Amt für Soziale Arbeit erhalten.
Wichtig: Seit dem 1.1.2020 wird eine Leistung der Eingliederungshilfe nur bewilligt, wenn die Eltern zuvor einen Antrag gestellt haben („Antragserfordernis“).
Die Fristen: Das Amt für Soziale Arbeit muss binnen zwei Wochen nach Eingang des Antrags feststellen, ob es zuständig ist (§ 14, SGB IX). Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt das Amt für Soziale Arbeit den Leistungsbedarf unverzüglich fest. Ist für die Feststellung des Leistungsbedarfs ein Gutachten erforderlich, wird die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens getroffen.
Das Amt für Soziale Arbeit muss also die notwendige, individuelle Hilfe
kosten- und bedarfsdeckend selbst feststellen. Im rechtsgültigen Bescheid, den das Amt fristgerecht ausstellen
muss, ist anzugeben, für welche Aufgaben und in welcher Höhe eine Begleitung des betroffenen
Kindes notwendig ist.
Seit dem 1.1.2018 ist die Bedarfsfeststellung zudem durch den Gesamtplan (§ 121 SGB IX) / Hilfeplan (§ 36 SGB VIII), den der Träger der Eingliederungshilfe, also das Amt für Soziale Arbeit erstellen muss, zwingend erforderlich. Hierbei wirken das Amt für Soziale Arbeit und der Leistungsberechtigte ggf. mit weiteren Fachleuten zusammen. Es werden Zielvereinbarungen getroffen und die Aufgaben festgelegt, die die Teilhabeassistenz zum Erreichen dieser Zielvereinbarungen übernehmen soll. Der Gesamtplan wird dem Bewilligungsbescheid beigefügt.
Die konkreten Aufgaben der Teilhabeassistenz und die Häufigkeit ihres Einsatzes hängen vom individuellen Hilfebedarf des Schüler/der Schülerin ab. Viele Einzelfragen zur Teilhabe am schulischen Leben wurden bereits durch Gerichte entschieden.
Im Wesentlichen besteht die Unterstützung aus der Betreuung, der Pflege und/oder allgemeinpädagogischen Hilfen. Das sind z. B.:
Die Leistungsempfänger dürfen Wünsche äußern, wie die Leistung durchgeführt werden soll. Für Minderjährige handeln ihre Eltern. Wünsche müssen beachtet werden, wenn sie nicht zu übermäßigen Kosten führen.
Der/die Betroffene darf nach § 8 SGB IX den Erbringer der Leistungen selbst auswählen. Das heißt, das Amt für Soziale Arbeit darf keinen Auftrag erteilen. Das Amt für Soziale Arbeit darf auch nicht vorschreiben, welcher Leistungsanbieter den Auftrag erhalten soll.
Leistungsempfänger dürfen Leistungen auch in Form des Persönlichen Budgets in Anspruch nehmen und sich selbst eine geeignete Person für die Unterstützung suchen. Auch dann muss das Amt für Soziale Arbeit den Bedarf im notwendigen Umfang und angemessen bezahlen. (§ 29 SGB IX)
Wenn Eltern den Eindruck haben, dass ein Bescheid vom Amt für soziale Arbeit nicht korrekt erstellt wurde, können sich gerne an uns wenden. Möglicherweise wäre gegen den Bescheid Widerspruch einzulegen bzw. ein Überprüfungsantrag zu stellen. Kontakt zur Beratungsstelle.
Bundessozialgericht, 09.12.2016 - B 8 SO 8/15 R
Der zuständige Sozialhilfeträger muss die Kosten für einen Schulbegleiters unter bestimmten
Voraussetzungen im Rahmen der Eingliederungshilfe übernehmen. Die Klägerin kann als
wesentlich geistig behindertes Kind aufgrund der Behinderung ohne zusätzliche Unterstützung
durch einen solchen Begleiter die individuell auf seine Fähigkeit und Fertigkeiten abgestimmten
Lerninhalte nicht verarbeiten und umsetzen; dies hat unterstützende Leistungen einer Schulbegleitung erforderlich gemacht. Bei diesen Unterstützungsmaßnahmen handelte es sich nicht
um den Kernbereich allgemeiner Schulbildung, für den allein die Schulbehörden die
Leistungszuständigkeit besitzen. Im Rahmen des Nachrangs der Sozialhilfe außerhalb des
Kernbereichs ist lediglich Voraussetzung, dass eine notwendige Schulbegleitung tatsächlich von
anderen nicht übernommen bzw. getragen wird.
Bundessozialgericht, 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R 1
-1. Eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen
Schulbildung ist außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Schule besteht für
zumindest unterstützende pädagogische Maßnahmen regelmäßig auch dann, solange und soweit die
Schule eine entsprechende Hilfe nicht gewährt oder darauf verweist, sie nicht erbringen zu können. 2. Hilfeleistungen zu einer angemessenen Schulbildung sind auch während Ferienzeiten nicht
ausgeschlossen. 3. Hilfeleistungen zu einer angemessenen Schulbildung umfassen auch die
Schülerbeförderung. Sofern keine andere Art der Schülerbeförderung in Betracht kommt, hat der
Hilfeträger den Bedarf des behinderten Menschen ggf. durch Übernahme der individuellen
Beförderung mit einem PKW oder einem Taxi zu decken.
Landessozialgericht Hessen 25.04.2016, Az.: L 4 SO 227/15 BER
Der Versuch der Sozialbehörden in Kreis Bergstraße, Eltern zu zwingen, ausschließlich einen
Leistungsanbieter (hier: DRK Heppenheim) zu akzeptieren, ist gescheitert. Die Richter urteilten,
dass nach § 53 Abs. 1. Satz 1 SGB XII („Besonderheit des Einzelfalles“) sowie § 54 SGB XII i. V.
m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung „ein individualisiertes Förderverständnis“ zugrunde
liegt, das durch das Urteil des Bundessozialgerichtes von 2012 (s.o.) bestätigt wurde. Weiterhin
führt der Beschluss des LSG Darmstadt aus, dass der individuellen Leistungsgewährung auch nicht
der Mehrkostenvorbehalt nach § 9, Abs. 2, Satz 2 SGB XII entgegensteht. Denn dieser „Vorbehalt
setzt das Vorhandensein mindestens einer Alternative zur Bedarfsdeckung voraus, die dem
Hilfeberechtigten auch zumutbar sein muss“.
Beschluss des Verwaltungsgericht Hamburg, 10. Dezember 2015, 13 K 1532/12
Die Beklagte (Hansestadt Hamburg) wird verurteilt, es zu unterlassen, im Wege der
Zuwendungsfinanzierung oder sonstiger Pauschalfinanzierung Mittel an Träger der freien
Jugendhilfe zur Durchführung von sozialräumlichen Projekten auf der Grundlage der
Globalrichtlinie GR J 1/12 zur Durchführung von Einzelfallhilfen und/oder Hilfen, auf die ein
Rechtsanspruch besteht, zu vergeben und die Adressaten der Hilfen den Empfängern der
Pauschalfinanzierung zuzuweisen.
VG Darmstadt, 29.02.2016 – 5 L 652/15.DA
Ein Träger der Jugendhilfe ist unter der gegenwärtigen Rechtsgrundlage nicht berechtigt, Eltern von
Schülern darauf zu verweisen, Schulassistenzleistungen grundsätzlich von einem bestimmten
Anbieter in Anspruch nehmen zu müssen, mit dem der Träger der Jugendhilfe zuvor eine
Vereinbarung über die exklusive Zuweisung von Schülern geschlossen hat.
Die Eltern sind bei Schulen, die gemäß den Richtlinien des Hessischen Kultusministeriums ganztägig (Profil 1 -3) arbeiten, nicht an den Kosten für die Teilhabeassistenz während der pädagogischen Nachmittagsbetreuung zu beteiligen. Denn diese Form der pädagogischen Nachmittagsbetreuung ist Teil der Schulzeit und gehört damit gemäß § 112 SGB IX zu den Leistungen zur Teilhabe an Bildung. Sie ist also einkommens- und vermögensunabhängig nach § 138 SGB IX.
Die Nachmittagsbetreuung ist zusätzlicher Lernort. Hier erhält das Kind mit Behinderung vertiefende Lernangebote zur Förderung der kognitiven, motorischen und sozialen Kompetenzen wie z.B.
Die Hilfen liegen insbesondere in der Unterstützung, Erleichterung und Ergänzung der Schulbildung.
Urteil des Bundessozialgerichts (B 8 SO 4/17 R) vom 6.12.2018
Auch ein außerunterrichtliches schulisches Nachmittagsangebot in Form der OGS kann je nach
seiner konkreten Ausgestaltung im Hinblick auf den konkreten Förderbedarf des behinderten
Schülers eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung darstellen, wenn es geeignet und erforderlich
ist, den jeweiligen individuellen Eingliederungszweck entsprechend der jeweils von der
Schulverwaltung festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarfe zu erreichen und damit dem
behinderten Schüler den Schulbesuch zu erleichtern. Es gilt ein individueller und
personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung entgegensteht
(BSG Urteil vom 23.8.2013, B 8 SO 24/11 R). Die Entscheidung darüber, was für das einzelne Kind
die "angemessene Schulbildung" darstellt, obliegt der Schulverwaltung.
Die von der Schulverwaltung beschriebenen Förderbedarfe und Lernziele
geben den Rahmen der "angemessenen Schulbildung" für das jeweilige behinderte Kind vor.
Die Schulwegbegleitung ist nicht Sache der Eltern! Das hessische Schulgesetz regelt ausdrücklich, dass alle Kinder und Jugendlichen im Normalfall den Schulweg selbständig gehen können und dass es Aufgabe des Schulträgers (Stadt Wiesbaden) ist, für den kurzen und sicheren Schulweg zu sorgen oder alternativ geeignete Mittel der Schülerbeförderung sicherzustellen. (§ 161 HSchG).
Kann ein Kind aufgrund seiner Behinderung den Schulweg nicht selbständig bewältigen, so muss der Schulträger (Stadt Wiesbaden) für die passende Schülerbeförderung sorgen.
Für Kinder mit Behinderungen greift die Eingliederungshilfe.
Hilfen zur angemessenen Schulbildung nach SGB XII umfassen alle Hilfen, die die Beschulung überhaupt erst möglich
macht, also auch den Weg zur Schule.
Die Rechtslage zur Unterstützung der Kinder im schulischen Bereich ist mittlerweile eindeutig bis hin zu höchstrichterlichen Urteilen geregelt. Darin wird zwar diskutiert, welcher Kostenträger die Hilfen stellt (Sozialamt, Schulträger, Schulbehörde, Krankenkasse), jedoch steht hierbei keinesfalls und nirgendwo eine angebliche Verpflichtung der Eltern zur Debatte. In vielen Urteilen zur Eingliederungshilfe in der Schule ist auch die Pflicht des Sozialhilfeträgers zur Unterstützung auf dem Schulweg enthalten
Zu den Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung gehören auch solche Hilfen, die dem behinderten Menschen den Besuch der Schule erst ermöglichen. (VG München, Az. M 18 K 12.288) – Hilfeleistungen zu einer angemessenen Schulbildung umfassen auch die Schülerbeförderung. (SG Karlsruhe, Az. S 1 SO 580/12) – Der Sozialhilfeträger ist dem Grunde nach verpflichtet, im Rahmen der Eingliederungshilfe Hilfe zur Bewältigung des Schulweges zu erbringen (VG Frankfurt, Az. 7K 1940/11.F), um nur einige Beispiele zu nennen.