15 Jahre UN-BRK – Kein Grund zum Feiern in Hessens Schulen

In Hessen gilt seit der Anpassung des Hessischen Schulgesetzes von 2012 an die Verpflichtungen aus der UN-BRK die Vorgabe zur
Inklusion in der Schule als Regelfall.

„Alle schulpflichtigen Kinder werden in die allgemeine Schule aufgenom
men“ (§ 54 Abs. 1 HSchG).

Das ist die Theorie und das gute Recht des Kindes.
Die Praxis sieht aber anders aus:

Die Eltern kommen oft gar nicht bis zur Anmeldung ihres Kindes mit Behinderung an die allgemeine Schule. Denn in den Schulen herrschen Personalmangel und Überforderung mit dem bestehenden System dieser allgemeinen Mangelverwaltung. Schulen selektieren und sortieren daher von vorneherein aus, was ihnen möglich ist. Eltern werden von den allgemeinen Schulen, die ihr Kind mit Behinderung doch selbstverständlich aufnehmen können sollten, zunehmend dazu gebracht, „freiwillig“ die Förderschule zu wählen. Sie werden gezwungen, der Ressource zu folgen, die im Sondersystem festhängt, weil die Landesregierung auch 15 Jahre nach Ratifizierung der UN-BRK noch keinen Plan zur konsequenten Umsetzung von Inklusion vorgelegt hat.

Doch selbst angesichts der jüngsten PISA-Ergebnisse will die hessische Landesregierung das „Schulsystem in seiner historisch gewachsenen Vielfalt bewahren und deshalb keine Systemdebatten führen“. Mit ihrem Koalitionsvertrag vom Dezember 2023 will sie nicht an bisher erreichte Erfolge anknüpfen, sondern macht sich „stark für Erhalt und die bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Förderschulen in Hessen“. Hessen fördert den Ausbau von Förderschulen, von denen wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass sie in der Regel nicht zu einem Schulabschluss und zu einem selbstbestimmten Leben führen. Land und Kommunen/Kreise leisten sich infolge dessen ein kostenintensives Doppelsystem, dass angesichts fehlender Erfolge und angespannter Haushaltslage nicht zu rechtfertigen ist.

Die Institution der Sonderschule verletzt das Grundrecht auf Teilhabe und damit die Würde des einzelnen Kindes. Sie verstößt gegen das gerade von Kultusminister Schwarz gern zitierte Kindeswohl. Seit 15 Jahren warten wir darauf, dass die hessische Landesregierung ihrer Verpflichtung nachkommt,

„das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen und ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen zu gewährleisten“ (Art. 24 UN-BRK).

Die Verantwortlichen in Politik und Schule müssen, „angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen“ treffen und „Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung“ leisten (Art. 24 UN-BRK).

Denn:

„Kinder selbst haben ein aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz abgeleitetes, gegen den Staat gerichtetes Recht auf Unterstützung und Förderung bei ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. ... Eine Diskriminierung behinderter Menschen beim Zugang zur Schule verbietet Art. 24 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, wobei angemessene Vorkehrungen zu treffen sind, um behinderten Menschen den Zugang zur Schule zu ermöglichen.“ (BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021, AZ 1 BvR 971/21).

_Erst im vergangenen Sommer ist Deutschland zum zweiten Mal in einer Staatenprüfung der UNO heftig kritisiert und aufgefordert worden, Förderschulen abzubauen und die inklusive Entwicklung des Schulsystems zu beschleunigen. Deutschland, so der UN-Fachausschuss, solle dafür sorgen, dass die Bundesländer Aktionspläne aufstellen, die tatsächlich mit den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention übereinstimmen. Dies kommt einer beispiellosen Bloßstellung der Länder gleich, die der UN-Behindertenrechtskonvention zwar am 19. Dezember 2008 im Bundesrat einstimmig und verbindlich zugestimmt haben, seitdem aber in der Schulpolitik, für die sie selbst zuständig sind, die notwendige inklusive Schulreform verzögern und verschleppen. Auch Eltern behinderter Kinder aus mehreren Bundesländern haben jüngst in einem Offenen Brief – unterstützt von mehr als 140 Organisationen – die Bundesregierung aufgefordert, Druck auf die säumigen Landesregierungen aufzubauen.

Wir erinnern die hessische Landesregierung erneut an Ihre Pflicht,
a) einen umfassenden Plan zur Beschleunigung des Übergangs von Sonderschulung zu inklusiver Bildung auf Landes- und kommunaler Ebene mit konkreten Zeitplänen, menschlichen, technischen und finanziellen Ressourcenzuweisungen und klaren Verantwortlichkeiten für Umsetzung und Überwachung zu entwickeln;
b) Sensibilisierungs- und Bildungskampagnen zur Förderung inklusiver Bildung auf Gemeindeebene und bei den zuständigen Behörden umzusetzen;
c) Sicherzustellen, dass Kinder mit Behinderungen Regelschulen besuchen können, einschließlich der Verbesserung der Zugänglichkeit und Anpassung an alle Arten von Behinderungen.
d) Kontinuierliche Schulungen für Lehrkräfte zur inklusiven Bildung auf allen Ebenen sicherzustellen sowie die Lehrkräfteausbildung an den Universitäten konsequent inklusiv auszurichten.

#InklusiveBildungJetzt!

Dr. Dorothea Terpitz, Vorsitzende Gemeinsam leben Hessen e.V. Tel.: 0176-56802561

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