Berichterstatterin im Auftrag: Siegrid Trommershäuser, Dipl.Päd., Gemeinsam leben Frankfurt e.V., Egenolffstraße 29, 60316 Frankfurt a.M.
"Empfehlungen zur schulischen Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Sonderpädagogischem Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungsbedarf im Schwerpunkt LERNEN"
anlässlich der ANHÖRUNG am 09. Oktober 2018 in Berlin
Im Bundesnetzwerk Gemeinsam leben Gemeinsam lernen (GlGl) zeichnet sich die klare Positi- on ab, den Förderschwerpunkt LERNEN als eigenen Förderschwerpunkt nicht länger fortzuführen, sondern die Aufhebung dieses Förderschwerpunktes zu fordern und im Sinne einer demokratischen Schulentwicklung alle damit verbundenen inhaltlichen, organisatorischen, sozialen, kulturellen und finanziellen Fragen im Rahmen der Allgemeinen Schule, in "Einer Schule für alle", zu lösen.
Eine Begründung im Hinblick auf die Anforderung einer inklusiven Schulentwicklung für die Bei- behaltung eines festgestellten Förderschwerpunkts LERNEN kann nicht gesehen werden. Die Aufrechterhaltung des Förderschwerpunkts LERNEN als eigenen festgestellten Förder- schwerpunkt hebt das derzeitige ETIKETTIERUNGS-/DIAGNOSEN - RESSOURCEN - DILEMMA in der pädagogischen Schulentwicklung nicht auf, sondern verschärft es noch.
Die Stellungnahme bezieht sich im wesentlichen auf folgende Veröffentlichungen:
Klaus KLEMM: Unterwegs zur inklusiven Schule. Lagebericht 2018 aus bildungsstatistischer
Perspektive. Studie der BertelsmannStiftung vom September 2018
Brigitte SCHUMANN: "Talentschulen" sind fragwürdige Symbolpolitik.
http://bildungsklick.de/schule/meldung/talentschulen-sind-fragwuerdige-symbolpolitik/ vom 19.09.2018
Lisa REIMANN: "Die Förderschule für Lernbehinderte ist sinnvoll"
http://inklusionsfakten.de/die-foerderschule-für-lernbehinderte-ist-sinnvoll/ vom 15.03.2014
Die Forderung des Bundesnetzwerks bezieht sich auf eine für alle Schülerinnen und Schüler an der Sachstruktur der Lerngegenstände ausgerichteten, prozessorientierten und individualgeschichtlich basierten pädagogischen Diagnostik und Didaktik, die aufeinander bezogen sein müssen.
Didaktischer Reduktionismus, begründet durch entsprechende Etikettierungen (wie z.B. LERNEN), ist grundsätzlich zu hinterfragen.
Schulstrukturfragen sind nicht länger zu tabuisieren.
Ressourcenfragen sind nicht länger an Feststellungsverfahren zu binden.
Fachliche Expertise - unterschiedlichster Art - ist grundsätzlich an der Allgemeinen Schule verantwortlich anzubinden und nicht an externe Zentren, wie z.B. BFZs.
Die STELLUNGNAHME des Bundesnetzwerks GlGl folgt der Argumentation von Brigitte SCHUMANN (9/18), die hier verkürzt wiedergegeben wird:
1.
Bei diesen Empfehlungen der KMK werden Schulen in die Logik der evidenzbasierten "Pädagogik
des Testens" eingebunden, die von der empirischen Bildungsforschung vorangetrieben wird
und den Blick auf Leistungseffizienz reduziert.
Diese Pädagogik macht Schulqualität am quantitativ Messbaren fest und vernachlässigt qualitative entwicklungsförderliche Aspekte, wie z.B. Gesundheit, Wohlbefinden, Partizipation.
Die Förderung individueller Entwicklungs- und Lernprozesse als Basis für den individuellen
Lernerfolg tritt hinter der kurzsichtigen Bemühung um die Erfüllung von vorgegebenen
Leistungsstandards zurück.
Die Eigenverantwortung der Schulen für eine kompetente, pädagogisch reflektierte Selbstevaluation ihrer Arbeit droht durch Kontrollen von außen ersetzt zu werden.
2.
Zur Verminderung ungleicher Bildungschancen müssen alle Bildungseinrichtungen, beginnend
mit der frühen Bildung in den Kitas, in ihren Bemühungen zusätzlich unterstützt werden, die
ihnen anvertrauten Kinder bestmöglich zu fördern.
Dies bedeutet eine bildungspolitische Forderung nach einer sozialindizierten Ressourcensteuerung, die seit Jahren von der GEW und der GGG gefordert und von wissenschaftlicher Seite
unterstützt wird.
Es geht darum, Schulen mit einem validen Sozialindex zu messen und zur Verminderung der
Chancenungleichheit die Ressourcenverteilung an dem Grundsatz auszurichten, dass Ungleiche ungleich behandelt werden müssen.
3. Mit dem Festhalten an der sogenannten Schulvielfalt und der Tabuisierung der Schulstrukturfrage tragen die Landesregierungen aktiv zur Schaffung von segregierten Schulen bei. Schulvielfalt in Verbindung mit dem Elternwahlrecht ist das Mantra, mit dem die demokratisch und menschenrechtlich begründete Forderung nach Abbau von Segregation und Aufbau von Inklusion zurück gewiesen wird. Es ist nicht mehr hinnehmbar, dass die schulstrukturellen Ursachen für die ungerechte Koppelung von Herkunft und Bildungserwerb mit all ihren negativen Folgen verschwiegen wird.
4.
Der Begriff ARMUT wird oft im Zusammenhang mit dem Förderschwerpunkt LERNEN nicht offen
benannt.
Armut in Verbindung mit geringer Bildung der Eltern erhöht die Wahrscheinlichkeit einer mehrfachen Benachteiligung der Kinder im materiellen, sozialen, kulturellen und gesundheitlichen
Bereich.
In Großstädten leben arme Kinder meist in Stadtteilen, in denen sich Menschen in Armutslagen
konzentrieren. Aber: Der Wohnort der Kinder bestimmt ihre Schullaufbahn und ihre Bildungschancen maßgeblich.
Ein praktikabler Vorschlag für die Entwicklung eines landeseinheitlichen Sozialindex im politischen Raum ist ausführlich in einem Werkstattbericht als Teil der wissenschaftlichen Begleitforschung zu dem Landesprogramm "Kein Kind zurücklassen" veröffentlicht worden
(Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung der Ruhr-Universität Bochum - ZEFIR).
Dies in der notwendigen Weiterentwicklung des Schulwesens zu ignorieren, kommt nahezu einer
Provokation gleich.
Frankfurt am Main, den 28. September 2018
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